Die Bundesliga geht ins Jubiläumsjahr – ProFans zieht Bilanz

Berlin, den 03.08.2022

Am kommenden Wochenende geht die Fußball-Bundesliga in ihre 60. Saison. ProFans zieht Bilanz, was sich seit den 1960-er Jahren für die Fans verbessert und verschlechtert hat.

Besser: Mehr Zuschauer und Betreuungsangebote

Das Stadionerlebnis ist für Fans ein hochemotionales Gemeinschaftserlebnis. Viele modernisierte Stadien sind besser gefüllt als früher und erlauben tendenziell eine intensivere Stimmung auf den Zuschauerrängen. Fanprojekte und Fanbetreuungen der Vereine stehen dabei ebenfalls auf der Plus-Seite.

Neutral: Stadien 

Neue und modernisierte Stadien werden vielfach von Zuschauern gut angenommen und bieten zum Teil mehr Komfort. Andererseits haben teilweise gesichtslose Neubauten auf der grünen Wiese traditionsreiche Spielstätten ersetzt und damit die Identifikation vieler Fans verletzt. 

Schlechter: Offener Wettbewerb

1998 wurde der 1. FC Kaiserslautern als Aufsteiger Meister. Ist so etwas heute noch denkbar? Ganz im Gegenteil: seit zehn Jahren gibt es keinen anderen Meister als Bayern München. Die immer ungleicher werdende Einnahmenverteilung in der Liga wie auch in den internationalen Wettbewerben führt zu einer stetig abnehmenden Durchlässigkeit und Spannung und schadet damit der Attraktivität des Fußballs enorm.

Hinzu kommen die Finanzeinträge fußballfremder Investoren, mit denen zielgerichtet sportliche Erfolge erkauft werden. Es ist das Gegenteil fairen sportlichen Wettbewerbs, wenn einzelne Unternehmen oder Milliardäre maßgeblich darüber entscheiden können, welche Vereine besonders erfolgreich sind. In neun Jahren von der Verbandsliga bzw. in sieben Jahren von der Oberliga bis zur höchsten Spielklasse aufzusteigen, ist nichts anderes als mit unverschämt viel Geld erkaufter Erfolg. Dass diejenigen dafür oft noch Dankbarkeit erwarten, zeigt ihre Hybris.

Schlechter: Anstoßzeiten

Angestoßen wird samstags, 15:30 Uhr: Das war früher. Eine Uhrzeit, die es den meisten Fans erlaubte, das Spiel zu sehen, auch auswärts. Leicht zu merken, leicht einzurichten, und nach dem Spiel war der Tabellenstand klar. Heute: Anstoßzeiten, für die man oft Urlaub nehmen muss, teilweise sogar für Heimspiele. Dauerberieselung: Fußball gibt es täglich im TV, es ist kein Höhepunkt der Woche mehr. Sonntagsspiele kollidieren mit dem Amateurfußball.

Schlechter: Stehplätze

Das Angebot an Stehplätzen ist – prozentual und fast überall auch absolut – dramatisch zurückgegangen. Aktive Fans wollen stehen, und viele von ihnen sehen sich gezwungen, Karten für Sitzplätze zu kaufen, wo sie vielfach unter Gleichgesinnten das Spiel vor dem Sitzplatz stehend verfolgen oder gar, weil es die Vorderleute auch so machen und um überhaupt etwas zu sehen, auf der Sitzschale stehend.

Schlechter: Ausgestaltung der Regeln

Einfache und über Jahrzehnte beständige Regeln – früher ein Attraktivitätsmerkmal des Fußballs, aber heute längst nicht mehr. Schon die Dreipunktregel war eine zweifelhafte Neuerung, die den erhofften Effekt auf mehr Offensivfußball nie erreichte. Die Regel, wann und wie ein Handspiel zu ahnden ist, wurde zuletzt fast im Jahrestakt verändert. Mit Relegationen und Play-Offs wird versucht künstlich die Spannung zu erhöhen, doch werden damit vorgelagerte Begegnungen entwertet. Verkomplizierungen wie der Videobeweis schaffen nur in wenigen Situationen mehr Gerechtigkeit, zerstören aber die spontanen Emotionen auf den Rängen. Ein Tor? – Wer weiß? Elfmeterentscheidungen fallen teils, nachdem noch minutenlang „auf Verdacht“ weitergespielt wurde, vielleicht sogar ein Tor auf der Gegenseite erzielt wurde, das dann zurückgenommen wird.

Schlechter: Mitbestimmung und Mitgestaltung

Die Auslagerung von Lizenzmannschaften in Form von Kapitalgesellschaften, Ausnahmen von der „50+1“-Regel und, wie in Leipzig, von der Offenheit für eine breite stimmberechtigte Mitgliederschaft – entwerten die demokratische Teilhabe in den jeweiligen Vereinen. Für Fußballfans, die sich nicht als Konsumenten, sondern als Mitgestalter sehen, ist dies ein fortwährender Schlag ins Gesicht.

Schlechter: Internationale Wettbewerbe

Es gibt zwar mehr internationale Startplätze für die leistungsstärksten nationalen Ligen, dafür haben Vereine in anderen Ländern schlechtere Chancen. Die extrem ungleiche Einnahmenverteilung führt zur Zementierung bestehender Leistungsverhältnisse. Dadurch wiederum treffen in der Spitze immer wieder dieselben Vereine aufeinander. Der Spielkalender lässt kaum Lücken. Europacup-Spieltage waren früher ausgewiesene Höhepunkte, die inzwischen längst den TV-Einnahmen geopfert wurden.

Schlechter: Überwachung der Fans

Blocktrennung und Sicherheitskontrollen am Einlass, die es in den 1960-er Jahren noch nicht gab, mögen ihren Sinn haben. Aber sie werden vielfach missbraucht, um das Mitbringen von Fanutensilien, Transparenten, Proviant und anderen ganz ungefährlichen Dingen einzuschränken und auch, um die Anwesenheit von Sympathisanten der Gastmannschaft in neutralen Zuschauerblöcken zu verhindern. Die quasi lückenlose Videoüberwachung der Zuschauer hat ein absurdes Maß erreicht. Digitales Ticketing kann Wucherpreise für Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt erschweren, aber eben verbunden mit Verlust an Freiheit. Alarmierend ist, dass teils schon begonnen wird, das Mitbringen eines Smartphones mit vorgegebenem Betriebssystem und installierter App des Veranstalters zur Einlassbedingung zu machen, was nicht nur arme, alte und IT-sicherheitsbewusste Menschen ausgrenzt, sondern auch alle Möglichkeiten eröffnet, die Geräte der Zuschauer als Spionageinstrumente zu missbrauchen.

Schlechter: Benachteiligung der Gästefans

Anders als früher, werden Gästefans von vielen Vereinen diskriminierend behandelt. Nicht nur, dass den Gästefans zumeist die unattraktivsten Plätze im Stadion vorbehalten sind; sie müssen zudem besonders lange und unbequeme Wege zu den Stadioneingängen auf sich nehmen, haben vielfach deutlich längere Wartezeiten beim Einlass, müssen sich strengeren Kontrollen und Mitnahmebestimmungen unterziehen als Heimfans und werden sogar bei der Stadiongastronomie benachteiligt. Ganz davon abgesehen, werden Gästefans durch die Polizei regelmäßig in ungleich größerem Maße freiheitseinschränkenden Maßnahmen unterworfen. Wirklich willkommen fühlt man sich als Gastfan nur selten.

Schlechter: Identifikation mit der Mannschaft

Bei allem Fanatismus: Die Identifikation mit Spielern und Mannschaft fällt bei Vereinen an der Spitze zunehmend schwerer. Spitzenfußballer und Fans haben heute nur noch wenig Gemeinsames. Im Gegenteil, sie sind durch Welten getrennt, bedingt durch exorbitante Einkommen der Spieler, von denen die allermeisten einen Verein nur mehr als eine Station auf ihrem Karriereweg betrachten. „Einer wie er ist heute im Fußball kaum noch vorstellbar“, schrieb der „Spiegel“ kürzlich zum Tod von Uwe Seeler. Genau das kennzeichnet den Werteverfall.

Schlechter: Fans zahlen mehr

Fans zahlen heute für denselben Sport, für die gleiche Spannung und das gleiche Gemeinschaftserlebnis erheblich mehr als früher. Deutlicher als in den – vielfach in Deutschland noch moderat – gestiegenen Eintrittspreisen zeigt sich das in den teils unverschämten Preisen für Trikots und andere Identifikationsprodukte, an dem Übermaß an Reklame, die Fans über sich ergehen lassen müssen und die ihr Kaufverhalten beeinflusst, sowie auch an den Preisen für Pay-TV.

Schlechter: Soziale Integration

Die gesellschaftliche Bedeutung schöpft der Fußball vor allem aus seinem integrativen Potential. Der Ligaverband unterstreicht hingegen immer wieder den Eindruck, dass für ihn die Geschäftsziele an erster Stelle stehen und nicht die sozialen Werte. Fans, die vom Fußball mehr erwarten als pure Unterhaltung, werden als ewiggestrige Nostalgiker verspottet. Aber auch ganz konkret in den Stadien finden sich die sozialen Schichten der Gesellschaft dank ausgedehnter und abgeschotteter VIP-Bereiche zunehmend voneinander getrennt.

Schlechter: Rolle der Verbände

Die Verbände, sei es der DFB, die UEFA oder die FIFA, werden heute vor allem als korrupt, gesetzlos und moralisch verkommen wahrgenommen, anstatt dass sie eine durch ihr sozialdienliches Handeln erworbene natürliche Autorität genössen. Fans nehmen den DFB, dem die meisten mittelbar angehören, als das Gegenteil ihrer Interessenvertretung wahr. Bei einem Verband, der seine Angehörigen, auf reinen Verdacht hin und abgekoppelt vom Verschuldensprinzip, mit Strafen sanktioniert und der, im krassen Gegensatz zu den Grundwerten aufgeklärter europäischer Kultur, mit Kollektivhaftung und Kollektivstrafen arbeitet, ist das nicht verwunderlich. Die Fanbündnisse BAFF und ProFans nehmen seit Jahren nicht mehr die Einladungen zum strukturierten Fandialog wahr, weil sie den Glauben an einen Nutzen ihrer Teilnahme verloren haben.

Schlechter: Rolle der Nationalmannschaft

Beredtes Zeugnis der Diskrepanz zwischen proklamierter wertebasierter Haltung und tatsächlichem Handeln ist auch die kommende Weltmeisterschaft in Katar. Wohl wissend, dass die Mehrzahl der Fußballinteressierten in Deutschland, aufgrund der Umstände der Vergabe, diskriminierender Bedingungen, aber vor allem angesichts der Menschenopfer bei der Errichtung der Infrastruktur, der Teilnahme einer deutschen Mannschaft ablehnend gegenübersteht, hat der DFB niemals auch nur einen leisen Zweifel erkennen lassen, ungeachtet aller Proteste an dem Turnier teilzunehmen.

Es ergibt sich ein überwältigendes Verhältnis von 1 : 13 gegen die Faninteressen. Der Fußball kommt heute als modernes Hochglanzprodukt daher – und hat doch bei seinen treuesten Anhängern so viel an Attraktivität verloren! Zwar freuen sich die Fans auf den Saisonstart, aber ihr Frust wächst von Jahr zu Jahr, so dass man sich fragt, für wen der Zirkus eigentlich veranstaltet wird.

ProFans, im August 2022